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Forschung

Nov 12 2014
12:41

Software identifiziert wirksame Bestandteile in komplexen Molekülen

Naturwirkstoffe im Rechner zerkleinern und verstehen

FRANKFURT. Antibiotika-resistente Keime, gefährliche Viren, Krebs: Ungelöste medizinische Probleme erfordern neue und bessere Arzneimittel. Inspiration für neue Wirkstoffe könnte aus der Natur kommen. Dabei hilft nun die computerbasierte Methode eines Forscherteams unter Beteiligung der Goethe-Universität.

Auf der Suche nach neuen Wirkstoffen  wendet sich die Pharmaforschung wieder der Quelle zu, aus der die meisten unserer Arzneimittel ursprünglich kommen: der Natur. Aktuell sind Hunderttausende aus der Natur stammende Wirkstoffe bekannt, jedoch ist bei den meisten nicht klar, wie sie genau wirken. Ein Forscherteam der ETH Zürich, der Goethe-Universität, der Universität Jena und des Helmholtz Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland hat nun eine computerbasierte Methode entwickelt, um den Wirkmechanismus solcher Naturstoffe vorherzusagen. Damit hoffen die Wissenschaftler auf neue Ideen, um Arzneistoffe zu generieren.

 „Natürliche Wirkstoffe sind meist sehr große Moleküle, die man chemisch oft nur in langwierigen Prozessen synthetisieren kann“, erklärt Prof. Manfred Schubert-Zsilavecz vom Institut für Pharmazeutische Chemie der Goethe-Universität. Wenn man verstehe, wie genau ein Naturstoff wirke, könne man kleinere, einfachere Moleküle entwerfen, die sich leichter synthetisieren lassen. Sobald ein Stoff chemisch synthetisierbar wird, lässt er sich auch für den medizinischen Einsatz optimieren.

Um den Wirkmechanismus zu verstehen, untersuchen Forscher, mit welchen Bestandteilen eines Erregers der Naturstoff wechselwirkt, um beispielsweise sein Wachstum zu hemmen. Bisher dienten dazu aufwändige Laborversuche, und meistens erkannten die Wissenschaftler dabei nur den stärksten Effekt eines Stoffs. Diese eine Wechselwirkung allein kann aber oft nicht die gesamte Wirkung eines Naturstoffs erklären. Auch schwächere Wechselwirkungen mit weiteren Zielstrukturen können zur Gesamtwirkung beitragen.

210.000 Naturstoffe analysiert

Mithilfe der computerbasierten Methode konnten die Forscher nun eine Vielzahl möglicher Zielstrukturen von 210.000 bekannten Naturstoffen vorhersagen. Die Software arbeitet dabei mit einem Trick: Anstatt von der kompletten, oft komplexen chemischen Struktur der natürlichen Stoffe auszugehen, zerlegt sie diese in kleine Fragmente. Diese benutzt der Algorithmus als Grundlage, um chemische Datenbanken nach möglichen Interaktionspartnern zu durchforsten.

Die Fragmente wählt der Algorithmus nicht zufällig, sondern nach dem Prinzip der sogenannten Retrosynthese. Das Konzept stammt aus der organischen Chemie: Wenn ein Chemiker eine Substanz synthetisieren will, überlegt er, über welche Zwischenmoleküle er ans Ziel kommt. „Wir wollten die Moleküle in bedeutungsvolle Grundbausteine zerlegen“, erklärt Schneider. Daher errechnet die Software, aus welchen Einzelbausteinen sich die Substanz theoretisch synthetisieren liesse.

Gemeinsamkeiten entdeckt

Die Forscher prüften ihre Methode im Detail an einem aus Myxobakterien stammenden Wirkstoff, der das Wachstum von Tumorzellen bremst: Archazolid A. Von dieser Substanz ist eine Zielstruktur bekannt. Es gibt jedoch Hinweise, dass auch die Interaktion mit weiteren Zellfaktoren eine Rolle für die Anti-Tumor-Wirkung spielen muss. Welche diese anderen Faktoren sind, konnten die Forscher nun mithilfe der Software identifizieren und einige davon anschließend in Laborversuchen bestätigen. Dabei stellten sie überraschend fest, dass die Wirkweise des Archazolid A derjenigen eines viel kleineren und einfacheren Moleküls ähnelt, der Arachidonsäure, einer ungesättigten Fettsäure – eine Bestätigung dafür, dass sich eine gewünschte Wirkung oft auch mit einfacheren Substanzen erreichen lässt. Letztere könnten wiederum als Inspiration für neue Wirkstoffe dienen.

Zwar muss die Software noch optimiert werden — einige der vorgeschlagenen Wechselwirkungen konnten in biochemischen Versuchen nicht bestätigt werden — aber schon jetzt reduziert sie die Zahl der möglichen Kandidaten, mit denen eine Substanz interagieren könnte. Und damit verringert sich der Aufwand für anschließende Laborversuche, um die tatsächlichen Wechselwirkungen experimentell zu bestätigen. So wird es künftig leichter, den Wirkmechanismus natürlicher Substanzen zu entschlüsseln.

Publikation: Reker D et al.: Revealing the macromolecular targets of complex natural products. Nature Chemistry, Online-Publikation vom 2.11.2014. doi:10.1038/nchem.2095

Informationen: Prof. Manfred Schubert-Zsilavecz, Institut für Pharmazeutische Chemie, Campus Riedberg, Tel.: (069) 798-29339, Schubert-Zsilavecz@pharmchem.uni-frankfurt.de.