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Jan 3 2013
13:15

Ein Blick in die „virtuelle Vitrine“ zum 125-jährigen Jubiläum.

„Rothschild‘sche Bibliothek: Angebote für alle zur „ernsthaften Bildung und wissenschaftlichen Belehrung"

FRANKFURT. Vor 125 Jahren, am 3. Januar 1888, wurde die Rothschild‘sche Bibliothek in Frankfurt eröffnet. Integriert in die Universitätsbibliothek bilden ihre Bestände heute die historische Quellenliteratur zahlreicher geisteswissenschaftlicher Disziplinen, insbesondere der Sprach- und Literaturwissenschaften, der Germanistik sowie der Theaterwissenschaften. „Die Fülle und Vielfältigkeit des Bestandes macht ihren enormen Wert als Ressourcen für die Forschung der Gegenwart aus“, so Rachel Heuberger, Leiterin der Hebraica- und Judaica-Sammlung in der Universitätsbibliothek der Goethe-Universität.

Pünktlich zum Jubiläum hat die Universitätsbibliothek eine virtuelle Vitrine eingerichtet, in die man unter www.ub.uni-frankfurt.de/judaica/vjv_01.html einen Blick werfen kann. Dort sind Illustrationen und Presse-Ausschnitte über die Bibliothek sowie Porträts und Informationen über die Mitglieder der Familie Rothschild zu sehen.

Die "Freiherrlich Carl von Rothschild'sche öffentliche Bibliothek", wie sie ursprünglich hieß, wurde 1887 von Freifräulein Hannah Louise von Rothschild (1850-1892) zum Andenken an ihren am 16. Oktober 1886 verstorbenen Vater, Mayer Carl von Rothschild,  gegründet.  Er war einer der einflussreichsten Bankiers in Deutschland, Mitglied der Frankfurter Handelskammer, Mitbegründer der Frankfurter Bank und vertrat Frankfurt als Abgeordneter im Norddeutschen Reichstag. Nach dem Tod des Vaters errichtete die zweitjüngste Tochter Hannah Louise (1850-1892), die unverheiratet blieb, mit der von ihrem Vater angelegten und ihrer eigenen Büchersammlung als Grundstock eine Bibliothek. Eine weitere von ihr geschaffene Stiftung, die bis auf den heutigen Tag Bestand hat, ist die im Jahre 1890 gegründete „Heilanstalt Carolinum“, der Nucleus der modernen universitären Zahnklinik, die heute Carolinum Zahnärztliches Universität-Institut gGmbH heißt.

Leitidee der neuen Bibliothek war die „Free Public Library“ aus England – ein in Deutschland bis dahin noch unbekannten Vorbild, das allen Bevölkerungsschichten mit kostenlosen Angeboten zur „ernsthaften Bildung und wissenschaftlicher Belehrung" dienen und auch dem akademisch nicht gebildeten Publikum die Literatur aller Völker zugänglich machen sollte. Für die Berufstätigen war die Bibliothek in der Bethmannstraße 1und später im Rothschild‘sche Familienhaus Untermainkai 15 an allen sechs Wochentagen bis 20 Uhr und auch sonntags am Vormittag geöffnet. Sie erfreute sich reger Nutzung: Handwerker und Kaufleute stellten mit 40 Prozent die größte Gruppe der Nutzer dar, auffallend ist auch die große Anzahl weiblicher Nutzer mit rund 25 Prozent. Zu diesen zählten insbesondere Lehrerinnen sowie Frauen aus Bekleidungsberufen, aber auch eine Malerin, eine Opernsängerin und eine Geschäftsführerin.

Bei der Eröffnung umfasste die Bibliothek etwa 3.500 Titel zur Kunst- und Literaturwissenschaft  in den europäischen Sprachen sowie Jugendschriften und Schulbücher. Hannah Louise Rothschild übernahm auch alle folgenden Kosten und kümmerte sich in enger Zusammenarbeit mit dem Bibliothekar Christian Wilhelm Berghoeffer darum, die Bibliothek um zeitgenössische deutsche, französische und englische Literatur sowie Bücher zu Handelswissenschaften, Theologie und Bibliothekswissenschaft auszubauen. Bis zum Ende des Jahres 1892 war der Bestand bereits auf mehr als 13.000 Titel angewachsen.

„Damit stellte die Bibliothek der Allgemeinheit die Literatur für die damals noch jungen und in der Stadt wenig gepflegten Disziplinen Kunst- und Musikwissenschaft, neuere Philologie, Volkskunde und vergleichende Sprachwissenschaft zur Verfügung“, erläutert Heuberger.  „Und zudem bestand von Anfang an der Auftrag, alles zusammenzutragen, was in Büchern, Zeitschriften und Zeitungen über die Familie Rothschild veröffentlicht oder von Familienangehörigen verfasst wurde, eine Aufgabe, die heutzutage die größte Bedeutung erlangt hat.“ Eine Presseschau zur Familie Rothschild, vor 125 Jahren in Angriff genommen, ist mittlerweile digitalisiert und steht online zur Verfügung: http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/rothschild. Die Sammlung enthält Artikel der nationalen und internationalen Presse aus den Jahren 1886 bis1916, die sich auf die Familie Rothschild und das Bankhaus beziehen. Es handelt sich um rund 20.000 Artikel, in 31 Bänden chronologisch zusammengefasst, die als historische Ressource ein Unikat darstellen. Weitere Bestände zur Familie Rothschild, darunter Bücher, Aufsätze, Bildnisse, Karikaturen sowie Entwürfe zu Denkmälern sind ebenfalls bereits online verfügbar. 

Für die Rothschild’sche Bibliothek begann 1928 die dunkle Phase ihrer Geschichte: Nach der Entwertung des Stiftungsvermögens durch die Inflation wurde die Bibliothek von der Stadt Frankfurt übernommen und der Stadtbibliothek angegliedert. Die Leitung wurde Joachim Kirchner übertragen, der überzeugte Nationalsozialist wurde im April 1933 vom Oberbürgermeister zum Beauftragten der Säuberung der städtischen Schüler-, Lehrer- und Volksbüchereien ernannt. Die Rothschild‘sche Bibliothek wurde die erste Frankfurter Bibliothek, in der „undeutsches Schrifttum“ nur noch bei Nachweis eines wissenschaftlichen Zwecks ausgeliehen wurde. Auf Betreiben von Kirchner wurde die Rothschild‘sche Bibliothek bereits am 30. Dezember 1933 in Bibliothek für neuere Sprachen und Musik (Freiherrlich Carl von Rothschild‘sche Bibliothek) umbenannt, der Klammerzusatz im November 1935 gestrichen. Alle Erinnerungen an die Stifterfamilie wurden getilgt.

Die reichen Schätze der Bibliothek überstanden den Zweiten Weltkrieg, weil sie in Mitwitz in Oberfranken ausgelagert waren. Als 1945 die Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt neu strukturiert wurde, wurden auch die Bestände der Rothschild‘sche Bibliothek eingegliedert, was zum endgültigen Verlust der Selbstständigkeit und zum Verschwinden des Namens in der Frankfurter Bibliothekslandschaft führte. „Die Einbindung der Rothschild-Literatur in die Europeana, die Europäische Digitale Bibliothek, und der schnelle Internet-Zugriff auf diese Ressourcen sollen dazu beitragen, die bedeutende Rolle dieser Frankfurter Stiftung für die geisteswissenschaftlichen Fachbereiche der Universität bis heute wieder ins Gedächtnis zu rufen“, hofft Heuberger.

Informationen: Dr. Rachel Heuberger, Maike Strobel, Hebraica- und Judaica-Sammlung, Universitätsbibliothek; Campus Bockenheim, Tel.(069) 798-39665 oder 798-39120; r.heuberger@ub.uni-frankfurt.de; m.strobel@ub.uni-frankfurt.de