Emotionale Wahrnehmungsfähigkeit

Jede vierte Krankschreibung am Arbeitsplatz steht im Zusammenhang mit psychischem Stress (BDP, 2008), und tiefgreifende Erschöpfungszustände wie Burnout sind, nicht zuletzt wegen prominenter Betroffener, mittlerweile regelmäßig Thema der Medien. Die Inzidenz von Krankschreibungen aufgrund psychischen Stresses ist Jahren steigend. Gleichzeitig arbeiten mittlerweile mehr als zwei Drittel deutscher Arbeitnehmer im Dienstleistungssektor (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, 2008), der besondere Anforderungen an die psychische Belastbarkeit stellt. Organisationen wie Kunden erwarten, dass Dienstleister im Kundenkontakt freundlich auftreten. Um dieser Anforderung gerecht zu werden, müssen Dienstleister zum Teil ihre wahren Gefühle unterdrücken und Emotionen zum Ausdruck bringen, die nicht ihrer tatsächlichen Stimmung entsprechen. Für diesen Vorgang prägte die Soziologin Arlie Hochschild (1983) den Begriff Emotionsarbeit. Die Forschung hat seither gezeigt, dass Emotionsarbeit mit einer Reihe negativer Folgen für Dienstleister in Zusammenhang steht, wie psychosomatische Beeinträchtigungen, Arbeitsunzufriedenheit und Burnout.

Wir gehen der Frage nach, welche Personen die Arbeitsanforderungen im Dienstleistungsbereich besser bewältigen, so dass negative Effekte von Emotionsarbeit gemildert oder gänzlich vermieden werden können. Dabei untersuchen wir die Bedeutung emotionaler Wahrnehmungsfähigkeit auf Seiten der Dienstleister. Personen mit hoher emotionaler Wahrnehmungsfähigkeit sind besonders gut in der Lage, aus non-verbalen Äußerungen ihrer Interaktionspartner (Mimik, Körperhaltung, Tonfall) deren momentane Stimmung zu erkennen. Diese Fähigkeit wird insbesondere in länger andauernden und komplexen Dienstleistungs-Interaktionen, wie z.B. in der Pflege, relevant. Dienstleister, die die emotionale Verfassung ihrer Kunden bzw. Klienten oder Patienten richtig einschätzen, sollten mit höherer Wahrscheinlichkeit auch angemessen reagieren und deshalb besser auf die Bedürfnisse ihrer Kunden eingehen. Die bisherigen Ergebnisse (Bechtoldt, Rohrmann, De Pater, & Beersma, 2011) bestätigen die Hypothese, dass emotionale Wahrnehmungsfähigkeit eine protektive Wirkung gegen negative Auswirkungen von Emotionsarbeit zu haben scheint; Dienstleister mit hoher emotionaler Wahrnehmungsfähigkeit berichten von besserem Wohlbefinden und höherem Arbeitsengagement als Dienstleister mit niedriger Wahrnehmungsfähigkeit. Da emotionale Wahrnehmungsfähigkeit trainierbar ist, lassen sich hieraus direkt Personalentwicklungsmaßnahmen für Dienstleister ableiten.

Publikation
Bechtoldt, M.N., Rohrmann, S., De Pater, I.E. & Beersma, B. (2011). The primacy of perceiving – emotion recognition buffers negative effects of emotional labor. Journal of Applied Psychology, 96, 1087-1094.